Das Gehirn

Das Gehirn ist eines der stoffwechselaktivsten Organe des Menschen und benötigt ständig Sauerstoff (3,5 ml O2/100 mg Hirngewebe pro Minute bei einer durchschnittlichen Hirndurchblutung von 50ml/100g Gehirn in der Minute). Gleichzeitig verfügt es über praktisch keinerlei Reserven (Glycogenvorrat nur für 3 Minuten). Bereits sechs bis zehn Sekunden nach einer vollständigen Unterbrechung der Hirndurchblutung wird man bewusstlos, nach drei bis sechs Minuten treten irreversible Zellschäden auf (Ausnahme: Hypothermie).

Ein Sauerstoffmangel führt innerhalb weniger Minuten zu schwersten Störungen der Hirnfunktionen, der so genannten hypoxischen (anoxischen) Hirnschädigung. Eine unzureichende Versorgung mit Sauerstoff tritt entweder durch einen fehlenden oder stark verminderten Blutfluß zum Gehirn auf und/oder durch einen verminderten Sauerstoffgehalt des Blutes. Bei einer schweren anoxischen Hirnschädigung kommt es im Gehirn zu diffus verteilten Zelluntergängen in fast allen Hirnregionen. Aber nicht alle Hirnregionen reagieren gleichermaßen.
Ursachen einer hypoxischen Hirnschädigung können ein plötzlicher Herzstillstand, ein schwerer Herzinfarkt sein, Kreislaufzusammenbrüche im Rahmen von Schockzuständen nach Unfällen oder schwersten allergischen Reaktionen, akute schwerwiegende Lungenfunktionsstörungen, Ertrinkungs- und Erstickungsunfälle sowie Reanimationen (Wiederbelebungsmaßnahmen) aufgrund obiger oder anderer Krankheitszustände.
Durch die verbesserte Notfall- und Intensivmedizin können viele der o.g. Erkrankungen in der Akutsituation beherrscht werden, so daß der Blutfluß und die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff stabil wieder hergestellt werden können. Bei einem überwiegenden Teil der Patienten treten, nach solchen erfolgreichen, intensiven Behandlungsmaßnahmen Störungen der Hirnfunktionen auf, die mehr oder weniger schwer sein können und Ausdruck des Sauerstoffmangels im Gehirn während der akuten Situation sind. Das Ausmaß der hypoxischen Hirnschädigung wird von mehren Faktoren bestimmt...

  Die Schwere des Kreislaufzusammenbruchs, die Dauer der Unterversorgung mit Sauerstoff, und ob zusätzliche Faktoren vorlagen, die die Hirnfunktionen ungünstig beeinflussen. 
In der Akutphase geben wiederholte Untersuchungen des neurologischen Status innerhalb der ersten Stunden und Tage nach der erlittenen hypoxische n Hirnschädigung Hinweise über das Ausmaß der Schädigung des Gehirns. Ist der Sauerstoffmangel im Hirn nur relativ kurz gewesen, zeigen die Patienten schon kurz nach dem Akutereignis innerhalb der ersten 24 Stunden Reaktionen, die auf eine Erholung der Hirnfunktionen hindeuten können. Die Spontanatmung setzt ein, es kommt zu ungerichteten Bewegungen, manchmal zu Muskelzuckungen. Im weiteren Verlauf erwacht dann der Patient. In dieser Phase finden sich dann oft erhebliche Unruhezustände, die Patienten können die Umgebung noch nicht richtig wahrnehmen, sind desorientiert, können noch keine zielgerichteten Bewegungen durchführen, es zeigen sich Koordinationsstörungen sowie Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und des Wiedererkennens.
Diese Störungen können sich bereits nach wenigen Tagen zurückbilden, so dass man davon ausgeht, dass die Hirnfunktionen sich wieder spontan erholt haben und keine manifest bleibenden strukturellen Hirnschädigung en aufgetreten sind. In einigen Fällen sind diese Störungen jedoch langwieriger, so dass diese Patienten speziell gefördert werden müssen. Gerade Orientierungs- und Gedächtnisstörungen können lang anhaltend sein. Die Behandlung dieser langwierigeren Störungen geschieht in der Regel in neurologischen, neuropsychologischen oder neuropsychiatrischen Rehabilitationskliniken. Hier erfolgt die Überprüfung der einzelnen Hirnfunktionen, die Erfassung der Auswirkung von Funktionsstörungen für den Patienten und seine Umgebung und deren spezifische Behandlung. 
  In schwersten Fällen der hypoxische n Hirnschädigung erwacht der Patient innerhalb der ersten 24- 48 Stunden nach dem Akutereignis nicht. Der Patient befindet sich in einem tiefen Koma und zeigt keine „zielgerichteten“ Reaktionen auf äußere Reize, keine Folgebewegungen der Augen, keinen Blickkontakt, kein Hinwenden zu vertrauten Stimmen. In dieser Phase können im Verlauf unwillkürliche Muskelzuckungen (Myoklonien) sowie Streck- und Beugestarren der Muskulatur auftreten. Es kommt zu Veränderungen der autonomen Funktionen mit Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz sowie der Körpertemperatur und des Blutdrucks. Die Patienten befinden sich trotz komatöser Bewußtseinslage ist einer Art vegetativer Erregungssituation. Meist ist in diesen schwersten Fällen mit lang andauernden erheblichen Störungen der Hirnfunktionen zu rechnen. 
  Sind keine Kriterien eines vollständigen und unwiederbringlichen Ausfalls aller Hirnfunktionen erkennbar, kann die prognostische Bewertung nur im weiteren Verlauf erfolgen. Diese Verlaufsbeobachtung wird durch qualifizierte Rehabilitationsansätze begleitet. In entsprechenden Rehabilitationskliniken erfolgt zusammen mit Neurologen, qualifizierten Therapeuten und in der Frührehabilitation erfahrenem Pflegepersonal sowie den Angehörigen des Patienten die Behandlung und Förderung der schwerst Betroffenen. Darüber hinaus erfolgt in der Rehabilitationsklinik die neurologisch-klinische und apparative rehabilitationsspezifische Verlaufsdiagnostik und die Beurteilung der Entwicklung der Hirnfunktionen nach stattgehabter hypoxische r Hirnschädigung.
Ziel der Rehabilitation ist es, durch geeignete Therapien den komatösen Zustand zu „überwinden“, um über die elementaren Wahrnehmungen hinaus nach außen gerichtete Wahrnehmung und später auch gezielte Reaktionen, Handlungen und Verhaltensäußerungen zu fördern. So wird durch verschiedene therapeutische Ansätze versucht, Orientierungswahrnehmungen in und an der Umwelt wiederherzustellen. Es wird eine Kontaktaufnahme und wenn möglich Kommunikationsebene zum Patienten gesucht. Es wird versucht, durch bestimmte Reizangebote Reaktionen, Bewegungsketten und den gezielten Einsatz von Bewegungen zu fördern. All diese Ansätze und weitere sollen die sogenannte „sensomotorische Integration“, d.h. das „harmonische“ Zusammenspiel der durch die Hypoxie geschädigten Hirnfunktionen, sowohl der Wahrnehmungsprozesse wie auch der Handlungsprozesse wiederherstellen bzw. verbessern. Die therapeutischen Ansätze werden durch medikamentöse Behandlung unterstützt. 
Die Angehörigen der Patienten, die oft über ein intuitives Erfassen von Körpersignalen verfügen, werden nach Möglichkeit immer in den Prozeß mit einbezogen. Oft ist ein geduldiges Ausprobieren von Stimulationen notwendig, die, wenn sie wirksame Reizangebote darstellen, wiederholt und strukturiert individuell für jeden Patienten eingesetzt werden. 
  Kommt es im Rahmen der Rehabilitationsbemühungen zu einer teilweisen Wiederherstellung der Hirnfunktionen kann der Patienten verschiedene Stadien der Erholung durchlaufen. Für die jeweiligen Krankheitsstadien werden spezielle Reabilitationsstrategien angewendet Nicht immer kommt es dabei zu einer vollständigen Wiederherstellung aller Hirnfunktionen. In Zusammenarbeit von Patient, Reha-Team, Angehörigen und nachfolgenden ambulanten oder stationären Versorgungseinrichtungen wird dann nach Möglichkeiten gesucht, wie eine Wiedereingliederung in den bisherigen Lebenskontext ermöglicht werden kann, um ein für ihn erfülltes Leben zu führen.
  Kommt es während des Klinikaufenthaltes nach einer Übergangsphase von etwa 3 Monaten nach Eintreten des anoxischen Komas nicht zu einer Erholung, d.h. nicht zu einer erkennbaren Wahrnehmungsfähigkeit, nicht zu einem integrierten Reagieren auf Reize oder einer Spontanität in Verhaltenselementen, muss man die Irreversibilität der Hirnfunktionsstörungen annehmen; das heißt, dass die gestörten Hirnfunktionen und die mit diesen Hirnfunktion verbundenen Aktivitäten nicht wieder herstellbar sind. Der Patient befindet sich dann im sogenannten permanenten postanoxischen apallischen Syndrom, (permanent postanoxic vegetative state). Oft wird dafür auch der Begriff des „Wachkomas“ benutzt, was nicht ganz unkritisch zu sehen ist.
  Dieses schwere und komplexe Krankheitsbild des sogenannten „Wachkomas“, kann auch in Folge anderer Hirnerkrankungen oder Hirnverletzungen auftreten und ist als ein gesondertes Thema zu besprechen, da die krankheitsspezifischen Verläufe variieren und der Begriff des sogenannten „Wachkomas“ auch in verschiedenen Stadien der Erholung von Hirnfunktionen, teilweise auch für sogenannte Durchgangssyndrome verwendet wird. Zunehmend spezialisieren sich Pflegeheime für die Langzeitversorgung solcher Schwerkranken; in geeigneten Fällen kann nach umfassender Vorbereitung eine häusliche Entlassung erfolgen.

Oberärztin Dr. med. E. Garms                         zurück

Free counter and web stats